Unterrichtsmodell zum Jugendroman Seidenhaar von Aygen-Sibel Çelik

7. Unterrichtszusammenhang und Ausblick: Möglichkeiten der Weiterführung der U-Sequenz zu Aygen-Sibel Çeliks Seidenhaar

Nach der Unterrichtseinheit unter dem Überbegriff „Toleranz“ bietet es sich an, die Rolle des Kopftuchs in unserer Gesellschaft bzw. die Bedeutung von Mode und Zeichensystemen allgemein weiterzuführen. Was bedeutet es für eine Frau, ein Kopftuch zu tragen? Wie wirkt sie damit auf ihre Umwelt? Und welche Zeichen sendet der Schüler1 selbst mit seiner eigenen Kleidung? Die konkrete Idee zur Weiterführung wäre, Zeichensysteme entweder allgemein an Mode oder speziell am Beispiel des Kopftuchs zu verdeutlichen, allerdings ohne die Begriffe Semiotik2 und Semantik3 explizit einzuführen, da dies für die 7. Klasse zu früh und somit nicht angemessen wäre. Laut Lehrplan der Jahrgangsstufe 7 „bilden Informieren und Argumentieren als sachbezogene Formen die Schwerpunkte des Sich- Mitteilens“, zudem sollen die Schüler im Rahmen der ästhetischen Bildung ihre Ausdrucksfähigkeit entfalten.4 Im Folgenden sollen zwei Stundenentwürfe zur Weiterführung in Umrissen aufgezeigt werden. Die Entwürfe können als Alternativen zur Weiterführung verstanden werden.

7.1. Modesemiotik als Unterrichtsgegenstand

Der Lehrplan der Klasse 7 verlangt die Vertiefung des Sprachbewusstseins der Schüler, unter anderem das Argumentieren und Informieren.5 Zu einer Auseinandersetzung mit der Sprache gehört auch die Beschäftigung mit semiotischen Grundlagen und somit der verbalen Kommunikation. Da sich an Mode oftmals verschiedene Einstellungen, soziale Unterschiede, Zugehörigkeit oder Individualität ablesen lassen funktioniert auch Mode als semiotisches System. Im Fall einer 7. Klasse erscheint die Auseinandersetzung mit abstrakten Zeichenmodellen zwar noch zu früh, aber dennoch gehört es zur Aufgabe insbesondere des Deutschlehrers zu zeigen, wann und in welcher Form Zeichen auftauchen können, welchen Zwecken sie dienen und wann sie angemessen bzw. unangemessen sind.
Eine Möglichkeit, die Schüler zu Beginn der Stunde zu motivieren, wäre, sie auf die Zeichenhaftigkeit in ihrem Alltag aufmerksam zu machen: Was bedeutet es, wenn morgens der Wecker klingelt? Welche Bedeutung hat der Schulgong und was heißt es, wenn eine Ampel rot wird? In einer Erarbeitungsphase kann die Lehrkraft den Schülern Bilder von Punkern, Hippies, Models, Rockstars oder Polizisten vorlegen. Das Ziel könnte die Erarbeitung verschiedener Fragen in kleinen Gruppen zu je 4-5 Schülern sein: Welche Funktion hat das Kleidungsstück, das die Person auf dem Foto trägt? Welche Aussage kommt bei Euch an, wenn ihr die Person in diesem Kleidungsstück seht? Was meint ihr, welche Aussage bei Euch ankommen soll? Will sich diese Person überhaupt an jemanden wenden? Wenn ja, an wen? Hierbei soll geübt werden, einen Standpunkt einzunehmen und die verschiedenen Argumente zu formulieren. In einer Präsentationsphase, in der jede Gruppe kurz ihre Ergebnisse vorstellt und die auch der Ergebnissicherung dient, sollen die Begründungen bezüglich der Aussagen der einzelnen Bilder bzw. Kleidungsstücke daraufhin zusammengetragen werden.
Es besteht die Möglichkeit, das Thema weiter zu vertiefen und die Schüler aufzufordern, sich einander zu zweit gegenüber zu setzen. Die Aufgabe der Schüler ist nun, in Partnerarbeit die Kleidung des Gegenübers zu analysieren und sich zu überlegen, was der andere für einen Appell nach außen richten möchte. Was sagt es aus, wenn jemand ausschließlich Markenkleidung trägt? Was signalisieren uns auffällige oder unauffällige Farben, Schnitte und Accessoires, etc.? Anschließend ist es sinnvoll, im Partnergespräch darüber zu diskutieren, inwiefern Vermutung und wirkliche Intention übereinstimmen. Der Forderung des Lehrplans, das Informieren und Argumentieren zu fördern, wird auch in dieser Übung entsprochen. Zum Schluss sollte den Schülern klar geworden sein, dass es möglich ist, Fehlschlüsse aus der Kleidung, also den Zeichen, des anderen zu ziehen und dass es zudem unmöglich ist, mit seiner Kleidung nichts auszusagen6, ob es nun beabsichtigt ist oder nicht.
Es ist sicherlich notwendig, dieses Thema für eine 7. Klasse so anschaulich und konkret wie möglich aufzuarbeiten. Abstrakte Zeichensysteme wie beispielsweise von Saussure eignen sich frühestens in der 10., in der „Reflexion über Kommunikation“ und die Arbeit der Schüler „an ihrem verbalen und nonverbalen Verhalten“7 verlangt wird. Dennoch bietet es sich im Zusammenhang mit dem Buch Seidenhaar an, die Zeichenhaftigkeit von Kleidung auch in einer 7. Klasse zu thematisieren, da Kleidung heutzutage bereits in einem sehr jungen Alter eine große Rolle spielt.

7.2. Kopftuch und Kopfbedeckungen als Unterrichtsgegenstand

In diesem Stundenumriss soll die Bedeutung des Kopftuchs und von Kopfbedeckungen konkret thematisiert werden, und nicht die Bedeutung von Mode im Allgemeinen. Die Zeichenhaftigkeit von Mode ist allerdings für diese Stunde ebenfalls bedeutsam. Nachdem die Schüler bereits in den vorangegangenen Stunden über Sinem und Canan, ihre Auseinandersetzung über das Kopftuch und verschiedene Vorurteile nachgedacht haben, besteht die Möglichkeit, dieses Thema noch weiter zu vertiefen und ebenfalls in Richtung Modesemiotik weiterzuführen.
Zu Beginn der Stunde können Bilder von verschiedenen Kopftuchtägerinnen gezeigt werden. Möglich wären Bilder von Jackie Kennedy oder Grace Kelly, die das Kopftuch als modisches Accessoire trugen, einer Bäuerin, die mit einem Kopftuch Haar und Kopf vor Witterung und Schmutz schützen will und einer Muslimin, die das Kopftuch zum Zeichen ihres Glaubens trägt. Im Lehrer-Schüler-Gespräch sollte deutlich werden, dass das Kopftuch nicht nur ein religiöses Symbol ist, sondern dass es je nach Verwendung eine andere Funktion hat und somit auch dem Betrachter Unterschiedliches signalisiert. Anschließend besteht die Möglichkeit, die unterschiedlichen Verwendungen von Kopfbedeckungen und die Gründe dafür in einem Lernzirkel zu vertiefen und in einem von der Lehrkraft konzipierten Fragebogen festzuhalten. Die Kooperation der Schüler in kleinen Gruppen ist zur Bearbeitung des Fragenkatalogs sowohl Voraussetzung als auch Zielvorstellung, da der Lernzirkel zusätzlich zur Wissensvermittlung auch die soziale Kompetenz fördern soll. Mögliche Stationen wären unterschiedliche Kopfbedeckungen (beispielsweise aus den 50er und 60er Jahren) und ihre Funktionen zu dieser Zeit, Baseball Caps aus der heutigen Zeit und verschiedene Arten von Kopftüchern, d.h. als religiöses Zeichen, als modisches Accessoire, als Schutz, etc. Ideal wäre es, die verschiedenen Kopfbedeckungen als Realia mit in den Unterricht zu bringen und somit nicht nur den auditiven oder visuellen Lerner (durch die Fotos), sondern durch Anfassen bzw. Aufsetzen auch den motorischen Lerner anzusprechen. Interessant wäre es für die verschiedenen Stationen, die Schüler mit Statements von Personen, die diese Kopfbedeckung tragen oder getragen haben, zu konfrontieren und sie Argumente aus den Texten herausfiltern zu lassen.
Im anschließenden Lehrer-Schüler-Gespräch sollen diese Argumente und die unterschiedlichen Funktionen und Zeichen dieser Kopfbedeckungen zusammengetragen und an der Tafel oder auf einer Folie am Overheadprojektor notiert werden. Schüler, die selbst eine Kopfbedeckung tragen, können an dieser Stelle auch nach ihren Beweggründen und die übrigen Schüler nach ihrer Meinung gefragt werden. Es sollte insgesamt deutlich werden, dass eine Kopfbedeckung in unserem Kulturkreis heutzutage sehr viel mehr Individualität ausdrückt, da es weit weniger selbstverständlich als beispielsweise in den 50er und 60er Jahren ist, einen Hut oder ein Kopftuch zu tragen. Doch auch heute markiert die Kopfbedeckung oftmals die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, Einstellung oder sozialen Schicht. Das Kopftuch ist darüber hinaus nicht „nur“ ein religiöses Zeichen, wie es heute oftmals wahrgenommen wird, sondern es hatte (und hat teilweise noch heute) in anderer Funktion auch in unserer abendländischen Gesellschaft seinen festen Platz.
Da in Çeliks Seidenhaar das Kopftuch als Politikum keine Erwähnung findet, soll in dieser Unterrichtsstunde auch nicht weiter auf politische Kontroversen eingegangen werden. Das Ziel ist vielmehr, den Fokus auf die affektiven Lernziele Toleranz, Empathie und Interesse, sowie auf die kognitiven Lernziele der Textbearbeitung (v.a. die gezielte Informationssuche im Fragebogen bzw. an den einzelnen Stationen), auf die Sprachproduktion und auf die Aneignung kulturellen Wissens zu lenken.


1 Mit dieser aus ökonomischen Gründen verwendeten Bezeichnung sind selbstverständlich Schüler und Schülerinnen gemeint.
2 Semiotik (griech.): „Lehre von den Kennzeichen“
3 Semantik (griech.): „Bedeutungslehre“
4 http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1/g8.de/index.php?StoryID=26291
5 ebd.
6 Vgl. Paul Watzlawicks Grundregel für menschliche Kommunikation: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“
7 http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1/g8.de/index.php?StoryID=26211

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